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Todesstrafe für Kamikaze-Flieger?

Gastkommentar, Linux-Magazin 04/2002

ungekürzte Originalfassung


Weitere Kommentare, Reden, Interviews

Der Rauch nach dem New Yorker Attentat hatte sich noch nicht verzogen, als die "üblichen Verdächtigen" wieder einmal nach mehr Überwachung im Internet riefen. Scharfmacher auf beiden Seiten des Atlantiks nutzten die Gunst der Stunde und zogen ihre Wunsch-Listen aus den Schubladen. Als "Anti-Terror-Maßnahme" getarnt, möchte man am liebsten auch Verschlüsselung verbieten -- zumindest starke Krypto-Verfahren, denn die sind Nachrichtendiensten und Strafverfolgern seit eh und jeh ein Dorn im Auge. Verschlüsselung, so deren These, mache Bösewichtern die ungestörte Kommunikation miteinander überhaupt erst möglich.

Gesetzestreue Terroristen?

Die Argumentation der Verbots-Befürworter brilliert allerdings durch ihre Schlichtheit, denn ein Attentäter, der bereit ist, sein eigenes Leben zu beenden, wird sich um Krypto-Verbote genau so wenig scheren wie um einen Strafzettel für falsches Parken. Würde man umgekehrt jedoch Gesetzestreue bei potenziellen Attentätern unterstellen, so wäre ein Krypto-Verbot genauso überflüssig: In diesem Falle würde es ja völlig ausreichen, Attentate zu verbieten.

Besonders laute Rufer nach einem Krypto-Verbot, verbal meist als "Einschränkung" oder "Verhinderung von Missbrauch" getarnt, finden sich hierzulande vor allem im Umfeld des frisch gebackenen Unions-Kanzlerkandidaten. Je nach Ausgang der Bundestags-Wahl könnten Positionen wie die des bayerischen Innenministers Günther Beckstein durchaus an Boden gewinnen. Der nämlich hatte "krasse Sicherheitslücken" im Anti-Terror-Paket II ausgemacht, weil dort eine Regelung fehle, die den "Missbrauch von Krypto-Technologie" verhindere.

E-Business-Barriere

Schwer verständlich ist die ministerielle Sichtweise allerdings, wenn man die Auswirkungen eines Krypto-Verbots auf die Wirtschaft bedenkt, zumal dadurch auch der ganze Stolz des Freistaats, nämlich die in den letzten Jahrzehnten angesiedelten High-Tech-Wirtschaftszweige, mit voller Wucht getroffen würden. Nicht zuletzt die jüngste Empirica-Studie zum Elektronischen Geschäftsverkehr , die vom BMWi im Januar 2002 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, müsste hier zu denken geben: "Unternehmen sehen in der Sicherheitsproblematik das Haupthindernis für Online-Beschaffung und die zweitwichtigste Barriere für den Online-Vertrieb...". Womöglich verlief die Entwicklung Bayerns zur High-Tech-Region schneller, als mancher Politiker die Veränderungen bewältigen kann. Allerdings wird es heute zunehmend problematischer, die Welt nach wie vor aus der Perspektive einer alpenländischen Kuhweide zu betrachten.

Nachrichten-Dienste wissen sehr wohl, dass deren Abhör-Datenflut schon jetzt kaum noch zu bewältigen ist, zumal das Kern-Problem darin liegt, die Brauchbarkeit gesammelter Daten zu bewerten, also die Spreu vom Weizen zu trennen. Das Gros des Materials ist nämlich irrelevant, die meisten Spuren sind falsch und führen ins Leere.

Schrot-Schuss in die Menge

Ein Krypto-Verbot ignoriert diesen Umstand völlig und ähnelt eher einer Schrotflinte, mit der man mitten in eine Menschenmenge auf dem Münchener Viktualienmarkt schießt. Der Erfolg: Viele werden verletzt, doch wenn man ganz besonders großes Glück hat, ist auch der Taschendieb darunter, der gerade versucht hat, die Geldbörse aus Omas Handtasche zu klauen. Aus Sicht des Schützen ist damit ein Mehr an Sicherheit erreicht worden, doch die Geschäfte werden mangels Kunden in der nächsten Zeit wohl schließen müssen.

Abgeordnete überfordert

Zwar gibt es in Deutschland derzeit noch kein Krypto-Verbot, denn dem steht zumindest gegenwärtig noch der Beschluss vom 2. Juni 1999 ("Eckwerte-Papier zur Kryptopolitik") entgegen. Das könnte sich aber ändern, denn im Eckwerte-Papier hatte man sich ein Hintertürchen offen gelassen: Punkt 4 sagt deutlich, dass "durch die Verbreitung starker Verschlüsselungsverfahren... die gesetzlichen Befugnisse der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden zur Telekommunikationsüberwachung nicht ausgehöhlt werden" dürfen. Es sei Aufgabe der "zuständigen Bundesministerien", hierzu nach Ablauf von zwei Jahren zu berichten. Dieser Zeitraum ist mittlerweile verstrichen und eine Neubesetzung relevanter Ministerien könnte nach den Wahlen durchaus anstehen.

Ob das Gros der Bundestags-Abgeordneten allerdings die Krypto-Thematik in ihrer vollen Tragweite überschaut, bleibt eher fraglich, denn so mancher MdB tut sich erkennbar schwer, mit den IT-Entwicklungen des letzten Jahrzehnts Schritt zu halten. So reibt man sich verwundert die Augen, wenn man in der Presse-Erklärung der medienpolitischen Sprecherin einer Bundestags-Fraktion liest, es sei entscheidend, Strafverfolgungsbehörden ausreichend "mit grundlegender Infrastruktur wie Computern und Modems auszustatten". Immerhin, die gute Absicht ehrt, zumindest Akustik-Koppler außen vor zu lassen, doch diese Presse-Erklärung stammt nicht etwa aus den Achtziger Jahren, sondern vom 18. September 2001.

Todesstoß für VPNs

Wenn westliche Staaten tatsächlich Verschlüsselung verbieten sollten, dann hätten Terroristen in Sachen Wirtschafts-Sabotage wohl gewonnen. Elektronische Geschäfts-Abwicklung braucht Krypto-Verfahren, und zwar solche, deren Qualität den Namen "Verschlüsselung" auch verdienen. Wer nicht ausschließen kann, dass Daten kompromittiert werden, und wer sich fragen muss, ob eine digitale Unterschrift womöglich gefälscht ist, wird mit Sicherheit die Finger von diesen elektronischen Verfahren lassen. Und dass virtuelle private Netze (VPNs), die zwischen zwei Firmen-Standorten schlichtweg unentbehrlich sind, ohne Verschlüsselung geradezu zur Spionage und Sabotage einladen, versteht sich eigentlich ganz von selbst.

Gefährliche Schlüssel-Sammlung

Nachschlüssel nur für die "Guten"? Dass Key-Escrow-Verfahren auf Dauer funktionieren, ist wohl die größte Illusion, der man sich hingeben kann. Nicht nur potenzieller Missbrauch beim Verwenden der Nachschlüssel schürt Misstrauen, sondern auch deren mögliche Komprimittierung. Schließlich zeigen terroristische Bedrohungen mit Chemie- und Biowaffen, dass jede Technologie früher oder später auch in die falschen Hände gelangt, und dass man selbst Informationen nicht unbegrenzt unter'm Deckel halten kann. Eine zentrale Schlüssel-Sammlung wäre ein lohnendes Angriffsziel mit vergleichsweise unkriegerischen Mitteln wie Korruption oder Erpressung.

Der Netto-Nutzen eines Krypto-Verbots bei der Terror-Bekämpfung? Aus Sicht der Befürworter ein echter Renner -- zumindest dann, wenn sich Terroristen gesetzestreu verhalten. Vielleicht wird man ja deshalb für Kamikaze-Flüge in Wolkenkratzer demnächst die Todesstrafe einführen. Zur Abschreckung, versteht sich.


Eitel Dignatz ist Managementberater und Inhaber der Münchner Unternehmensberatung Dignatz Consulting.

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